Während der Jahreshauptversammlung des NABU Bingenheim im Februar 2018 projizierte der 1. Vorsitzende, Sven Schuchmann, ein merkwürdiges Bild an die Leinwand:
Menschen auf Leitern, die an blühende Obstbäume gelehnt waren. Sie ernteten nicht. Nein, das waren Menschen, die mühselig jede Blüte von Hand bestäubten! Science fiction? Mitnichten, denn diese Situation ist bereits Realität in einigen Gebieten Asiens.
Was ist da passiert? Was betrifft das uns hier in Bingenheim?
Der Grund, das Bild zu zeigen, ist der massive Rückgang von fliegenden Insekten von durchschnittlich 75 Prozent in Deutschland! Darunter viele bestäubende Insektenarten.
„Eine Situation wie auf dem Bild hier will ich nicht erleben!“, so Sven Schuchmann und stellte die NABU-Mitmachaktion „Unsere Gemeinde soll blühen!“ vor. Gemeinsam mit der Bingenheimer Saatgut AG und dem Gewerbeverein Echzell e. V. erstellte der NABU Bingenheim einen Flyer mit Informationen und einem Saatgutpäckchen für Wildblütenpflanzen, die Nahrung und Lebensraum für Insekten liefern. Rechtzeitig zum Aussaatmonat Mai verteilen die Mitglieder vom NABU Bingenheim die Flyer mit Saatgut an die Haushalte der Gemeinde. Zudem werden sie an öffentlichen Orten in der Gemeinde zum Mitnehmen bereitgestellt werden.
Jeder kann helfen, die Nahrungssuche der Insekten zum Erfolg zu machen. Unsere bewirtschaftete Landschaft, die häufig mit Insektiziden belastet ist, und unsere Hausgärten bieten immer weniger Nahrung in Form von Nektar und Pollen. Leider nimmt der Trend zu aufgeräumten Steingärten, die leicht zu pflegen sind, immer mehr zu. Möglich, dass dies auch dem Wechseln der Altersstruktur in den dörflichen Gebieten zu schulden ist. Deshalb ist die Mitmachaktion „Unsere Gemeinde soll blühen!“ wirklich für jeden ohne viel Arbeit und Mühe umzusetzen: Ein Balkonkasten oder ein kleines Stück Beet im Vorgarten oder an der Terrasse reichen aus. Während der Blüte von Juni bis September lohnt es sich, sich müßig auf einem Gartenstuhl zurückzulehnen und das Treiben an den bunten Blüten zu beobachten, erzählt Veronika Pigorsch vom NABU Bingenheim aus Erfahrung.
Wer Lust hat, kann gerne Fotos von seinem besonderen Blütenbiotop an den NABU Bingenheim schicken. Mit Erlaubnis des Absenders werden sie dann auf der Website www.nabu-bingenheim.de veröffentlicht.
Leider liegt der Rückgang der Insekten nicht nur an mangelnder Nahrung. Ebenso fehlt es an geeigneten Fortpflanzungsstätten und Unterschlüpfen, da es kaum Totholz und Gruschelecken mit Kompost oder Reisighaufen in den Gärten gibt. Wer keine unaufgeräumten Ecken mag, kann trotzdem mit Insektenhotels viel dazu beitragen, dem Schwund der Wildbienen und Hummeln, Käfern und Schwebfliegen entgegenzuwirken. Infos dazu gibt der NABU gerne per Internet, Telefon oder auch persönlich. Kontakt: www.nabu-bingenheim.de
Viele haben schon bemerkt, dass die Windschutzscheibe bei langen Fahrten nicht vom „Fliegenschwamm“ gesäubert werden muss. Es kleben einfach gar nicht mehr so viele fliegende Insekten dran. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen belegen diese individuelle Beobachtung.
Zwischen 1989 und 2015 wurden an über 60 Standorten in deutschen Schutzgebieten Daten über fliegende Insekten gesammelt. Die über diese 27-jährige Zeitstrecke erfassten Daten liefern erschreckende Ergebnisse:
Mehr als 75 Prozent weniger Biomasse bei Fluginsekten. Das heißt, drei von vier Individuen fehlen. Nicht nur das Artensterben wurde als Problem festgehalten, sondern auch die massiv zurück gegangene Menge der Tiere. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Insektenwelt in Schwierigkeiten steckt, sondern wie das Insektensterben zu stoppen ist, so schreibt der NABU Bundesverband auf seiner Homepage.
Er bezieht sich dabei auf die vom renommierten Wissenschaftsjournal PLOS ONE veröffentlichte Studie „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“. Diese bestätigt erstmals den Insektenschwund in Deutschland. Zahlreiche ehrenamtliche Entomologen haben wissenschaftliche Daten zwischen 1989 und 2015 an über 60 Standorten gesammelt – die Ergebnisse sind erschreckend.
Es ist doch eigentlich gut, wenn diese Plagegeister weniger werden, wird manch einer denken. Und ja: auch wir vom NABU Bingenheim mögen nicht beim abendlichen Lagerfeuer von Mücken gestochen oder von Wespen während eines gemütlichen Kaffeeklatschs mit Kuchen und Saft gestört werden. Aber das sind eben nicht alle Eigenschaften dieser Tiere, es gehören weit mehr dazu!
Insekten sind alle Tiere mit sechs Beinen. Dazu zählen Käfer, Schmetterlinge, Honigbiene, Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen, und so weiter.
Klima- und Biotopveränderungen können als Hauptverursacher ausgeschlossen werden, so die Studie „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“, deren Daten in Schutzgebieten erhoben wurden.
Durch die Studie konnten zusätzliche potentielle Ursachen in die Bewertung des Datenbestandes aufgenommen werden. So wurden die täglichen Klimadaten von 1989 bis 2016 von über 160 Wetterstationen im Umfeld der Standorte sowie Luftbilder und Vegetationsaufnahmen der Biotope während der jeweiligen Untersuchungsperioden ausgewertet. Weder die Klimadaten, noch Änderungen der Biotopmerkmale konnten nach der statistischen Bewertung den größten Teil der Verluste erklären. Weitere potentielle Einflussfaktoren, wie zum Beispiel die Belastung durch Pestizide aus direkt umliegender Agrarnutzung konnten mangels verfügbarer Daten leider nicht berücksichtigt werden.
Durch die Studie konnte nicht abschließend geklärt werden, wie groß der Einfluss durch die intensive Landwirtschaft auf den Zustand der Insektenwelt tatsächlich ist. Ein Hinweis, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür sehr groß ist, liefert uns die Studie aber dennoch. Bei den Untersuchungsflächen weisen nämlich 90 Prozent der Standorte im Umfeld intensive Landwirtschaft auf. Damit sind diese Standorte ganz typisch für Schutzgebiete der heutigen Kulturlandschaft Deutschlands.
Etwa 60 Prozent aller Naturschutzgebiete sind hierzulande kleiner als 50 Hektar. Die Gebiete werden durch ihre Insellage und durch ihre langen Außengrenze stark von ihrer Umgebung beeinflusst – äußere Einflüsse, wie der Eintrag von Pestiziden oder Nährstoffen (Eutrophierung) können nicht ausreichend abgepuffert werden. So liegt es nahe, dass durch Praktiken der intensiven Landwirtschaft der Erhaltungszustand vieler Schutzgebiete massiv beeinträchtigt wird – und nicht zuletzt der von Insekten.
Die jetzige Veröffentlichung stellt einen Teilschritt umfangreicher laufender Auswertungsarbeiten dar, die auch aktuelle Untersuchungen in weiteren Gebieten einbeziehen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine langjährige Studie vom Entomologischen Verein Krefeld in NRW, die bereits im März 2016 dem Umweltausschuss des Bundestages vorgestellt wurden. Sie untersuchte zwischen 1989 und 2014 an 88 Standorten Zusammensetzung und Menge der fliegenden Insekten und stellten ebenfalls einen Rückgang von bis zu 80 Prozent fest.
Die Ursachen dieses dramatischen Schwundes sind bislang nicht ausreichend geklärt. „Den Klimawandel oder besonders kalte oder warme Winter können wir ausschließen. Vieles deutet darauf hin, dass wir es mit einer weit reichenden Vergiftung der Insekten in unserer Umwelt zu tun haben“, sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Besonders Neonicotinoide, die seit Mitte der 1990er Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt werden, stehen im Verdacht für das massenhafte Sterben verantwortlich zu sein. Immer mehr Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Mittel weit über ihr Einsatzgebiet hinaus Schäden unter Honigbienen, aber auch in der gesamten Insektenfauna auslösen.
Die Studienergebnisse sind repräsentativ für alle Offenlandbiotope des deutschen Tieflands. Damit sind sie von überregionaler Bedeutung und lassen vermuten, dass es sich beim Insektenrückgang um ein flächendeckendes Problem handelt. Mittlerweile stellt sich also nicht mehr die Frage, ob die Insektenwelt in Schwierigkeiten steckt, sondern vielmehr wie der Insektenrückgang noch zu stoppen ist. - Damit wir nicht auch bald auf Leitern stehen, um Obstbaumblüten zu bestäuben.