Wasservögel gezählt: Der erste Kibitz ist schon da

16.01.2011 - Ein unaufhörliches Klacken begleitet den Blick von Udo Seum durchs Spektiv. Die Optik ist auf die ausgedehnten Wasserflächen im Bingenheimer Ried ausgerichtet. Das Auge des Naturschützers verfolgt das Getümmel auf dem kühlen Nass immer auf der Suche nach Stockenten. Nach einigen Minuten liest Seum den Zähler ab, trägt 894 Stockenten ins Notizbuch ein. Nun sind die Nilgänse an der Reihe. Am dunklen Augenfleck, dem braunen Rumpf, hellen Schwingen mit dunklen fast schwarzen Federn sind sie zu erkennen. 27 von diesen Gänsen zählt Seum. Nur wenige Augenblicke braucht der erfahrene Ornithologe, um die Wasservögel zu zählen. Seit vier Jahrzehnten beteiligen sich die Helfer der Nabu-Gruppe Bingenheim an der monatlichen internationalen Wasservogelzählung von September bis März. Immer der Sonntag, der dem 15. am nächsten liegt, ist Zähltag. Morgens gegen neun, geht's los, um zu erfassen, wie viele Wasservögel sich im Ried, am Teufels- und Pfaffensee, Bergwerkssee,  Wölfersheimer See und in der Nidda-Aue bei Dauernheim tummeln.

Seit einiger Zeit begleitet Sven Schuchmann Seum zu den Zählungen. Übers Betreuen der Homepage der Nabu-Gruppe ist auch er zum Vogelbeobachter geworden. "Hier im Ried kann ich entspannen", sagt er und stellt die Optik auf eine vom Hochwasser umspülte Grasfläche ein. Hier haben die beiden einen Kibitz entdeckt. "Er ist sehr früh wieder da, das milde Wetter der vergangenen Tage ist Signal für die Vögel in ihre Brutgebiete zu fliegen", erklärt Seum, der seit zwei Jahrzehnten ehrenamtlich die Wasservögel zählt. Am Freitag kamen die ersten Störche zurück. Zuerst belegten die männlichen Bewohner die Horste, seit dem Wochenende sind die Weibchen da. "Wenn ein Kälteeinbruch kommt, fliegen sie in wärmere Gegenden." Ruhe herrschte beim Frost vor zwei Wochen im Beobachtungsgebiet auf den zugefrorenen Wasserflächen, kaum Vögel waren zu sehen. Momentan haben die Wasservögel in der Wetterau ein Eldorado.

"Beim Hochwasser zählen wir hier im Ried weniger Vögel als sonst", sagt Seum. Dafür klackt der Zähler rund um Dauernheim öfter. Rund 600 Pfeifenten gebe es in der Wetterau, die meisten im Ried. Derzeit verteilen sie sich großflächiger in Dauernheim zählte er 80, in der mittleren Horloffaue 120, im Ried 300. In den flach überschwemmten Wiesen finden sie leichter Nahrung, dort werden Regenwürmer, Käfer uns sonstiges Getier hochgespült und sind leicht zu fangen. Über die Jahre betrachtet stellen Seum und seine Helfer fest, dass die "Allerweltsvögel" wie Stockenten weniger geworden sind, dafür beobachten sie beispielsweise mehr Schnatterenten. "Es braucht ein paar Jahre, um all die Vögel sicher auseinanderhalten zu können", sagt Schuchmann. Er betrachtet die verschiedensten Enten genau durch die Optik, vergleicht im mitgebrachten Vogelkundebuch. Als Bonbon spielt Seum den Ruf der Schnatterenten per I-Phone ein. "Das ist praktisch", sagt er und hat mit wenigen Griffen auf dem Display die Informationen zu den verschiedensten Wasservögeln parat. "Ein guter Ornithologe hat immer ein Buch griffbereit, um nachlesen zu können", erklärt Seum.

Nach dem Vormittag im Ried und den angrenzenden Wasserflächen hat das Team vom Nabu-Bingenheim eine stattliche Zahl von Vogelarten notiert: Höckerschwäne, Graureiher, Silberreiher, Graugänse, Kanadagänse, Saatgänse, Blessgänse, Nilgänse, Krickente, Reiherente, Pfeifente, Schnatterente, Schellente, Blessralle, Kormoran, Störche und auch Rabenkrähen, Kolkraben und Mäusebussard sowie den Kibitz. Die Daten meldet Seum an die hessische Sammelstelle, die hessischen Zahlen gehen zur Bundesstelle, alle europäischen Zahlen werden in England zusammengeführt. "So ist gut zu erkennen, welche Vogelarten zunehmen und welche abnehmen", erklärt Seum. Gern investiert er Zeit für diese Zählungen und auch fürs Informieren von Interessierten, die immer mitgehen können oder zufällig die Ornithologen treffen. "Zeit zum Erklären ist immer da", sagt Seum und stellt das Spektiv in eine für Niklas, Tim und Lea leicht zu erreichende Höhe, denn die Schüler kamen zum Aussichtsturm im Bingenheimer Ried, als Seum und Schuchmann dort ihre Notizen machten (Quelle: Text und Bilder von Ines Dauernheim)